Pflege zu Hause und die Grenzen der Belastbarkeit
Etwa 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Österreich werden zu Hause von Angehörigen versorgt. Wobei diese oft schwierige Aufgabe meistens von Frauen geleistet wird, die damit dem Wunsch des Pflegebedürftigen nachkommen (Quelle: Studie „Angehörigenpflege Österreich“ – BMASGK, 2018).
Wir reden hier von ungefähr 801.000 pflegenden Angehörigen in Österreich. Wie ich finde, eine beachtliche Zahl, der meines Erachtens viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Alles dreht sich um den Pflegebedürftigen und dessen Versorgung, aber Familie und Angehörige geraten dabei oft in Vergessenheit, obwohl sich auch für sie die Lebenssituation gravierend verändert. Pflegende und betreuende Angehörige sehen sich plötzlich mit einer neuen Rolle konfrontiert, ohne genau zu wissen, was eigentlich auf sie zukommt. Geschweige denn, dass sie vorher gefragt wurden, ob sie diese Rolle überhaupt einnehmen möchten.
Als Pflegende erleben sie, wie eine ihnen nahestehende Person auf einmal auf Hilfe angewiesen ist und diese anfangs vielleicht sogar zurückweist. Eine Ablehnung die schmerzt, aber nichts mit der Pflegeperson an sich zu tun hat, auch wenn es häufig so empfunden wird. Es ist belastend, einen geliebten Menschen so hilflos, zerbrechlich und emotional labil zu sehen. Vielfach wird nicht berücksichtigt, dass nicht nur der Pflegebedürftige in eine Krise stürzt, sondern auch die Helfenden selbst, die eine starke seelische Anspannung und Verunsicherung erleben. Leider gibt es kaum Hilfsangebote, so dass betreuende und pflegende Angehörige oft mit ihren Ängsten und Sorgen sich selbst überlassen werden.
Mit meinem Blog möchte ich „Pflegende Angehörige“ informieren, unterstützen und ihnen Mut zu sprechen. Denn es ist wichtig, dass sie sich neben der Betreuung und Pflege selbst nicht aus den Augen verlieren. Schließlich können sie nur für andere da sein, wenn es ihnen selbst gut geht.
Pflege zu Hause
Pflegebedürftige Personen erhalten in ihrer gewohnten Umgebung wertvolle Unterstützung bei der Alltagsbewältigung. Diese umfasst z.B. Tätigkeiten wie einkaufen, aufräumen, Essen kochen, Körperpflege, Toilettengänge oder Medikamentenverabreichung. Meistens werden diese Aufgaben von Angehörigen – Ehepartnern, Töchtern oder Schwiegertöchtern übernommen. 63% der pflegenden Angehörigen entscheiden sich für die Pflege und Betreuung zu Hause, weil sie glauben, dem Pflegebedürftigen so etwas zurückgeben zu können. Sie haben das Gefühl „gebraucht“ zu werden und empfinden die Pflege bzw. Betreuung auch als sinnstiftende Tätigkeit.
Herausforderungen im Pflegealltag
Anfangs steht erstmal der Wunsch zu helfen, doch schon bald kollidiert die eigene Lebensgestaltung mit den Ansprüchen der Pflege. Das Organisieren eines vielschichtigen Pflegealltags, das Lösen von Problemen und ständig Entscheidungen treffen zu müssen, dass kostet Kraft. Und dann noch die Mehrfachbelastung. Der Spagat zwischen Beruf, Familie, Partnerschaft und Pflege. So bleibt immer weniger Zeit für den Pflegenden selbst. Für seine Hobbys und sozialen Kontakte, so dass viele pflegende Angehörige mit der Zeit unter Vereinsamung leiden.
Belastungen für pflegende und betreuende Angehörige
Pflege ist meistens mit körperlichen Anstrengungen, wie Bücken, Heben, schwerem Tragen usw. verbunden und kann zu körperlichen Beschwerden führen, genau wie Stress und negative Gefühle. Symptome, die vielleicht auf eine Überlastung hindeuten, deshalb sollten die Warnsignale des Körpers auch ernst genommen und die dahinter stehende Botschaft genauer ergründet werden.
Auch die seelische Belastung der Angehörigen ist nicht zu unterschätzen. Pflege geht mit vielen Unsicherheiten, Schuldgefühlen und Konflikten einher. Die erschwerte Lebenslage bringt Körper und Seele aus dem Gleichgewicht und begünstigt so psychosomatische Gesundheitsprobleme. Deshalb ist es enorm wichtig für seelischen Ausgleich zu sorgen.
Die ständige Verfügbarkeit, zusammen mit der immensen Verantwortung, lastet schwer auf den Schultern der Pflegenden.
Stress in der Pflege
Die ständige Sorge um die Pflegeperson, dass Gefühl nicht genug zu tun und fehlende Abgrenzung, lösen beim Helfenden enormen seelischen Stress aus. In Kombination mit der Vielzahl an privaten und beruflichen Anforderungen, kommt es daher immer öfter zu einem erhöhten Stressaufkommen, das dauerhaft krank machen kann.
Aus diesem Grund ist das Einhalten von Erholungs- und Regenerationsphasen für Pflegende Angehörige von immenser Bedeutung. Nur, wenn eine Balance zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Wünschen des Pflegebedürftigen geschaffen werden kann, die beiden gerecht wird, ist der Angehörige in der Lage, seine Kraft bzw. Gesundheit zu erhalten und damit die Voraussetzungen für eine optimale Betreuung zu gewährleisten.
Anzeichen von Überforderung bei Pflegendenden
- Aggressionen bzw. impulsives Handeln
- Vermehrt auftretende Ängste und Sorgen
- Negative Gedankenspirale
- Schlafstörungen
- Stress, nicht abschalten können
- Andauernde Erschöpfung bis zum Burnout
- Depressionen
- Körperliche Beschwerden wie Gelenk-, Nacken-, Kreuz-, Schulter- und Hüftleiden. Magenbeschwerden, Schwindel, nervöse Zustände und Erschöpfung.
Manchmal ist auch der Gedanke bzw. Wunsch nach Tod und Erlösung ein verzweifelter Hilferuf. Dabei geht es nicht um den Pflegebedürftigen selbst, sondern um das herbeigesehnte Ende der kräftezehrenden Betreuung und Pflege. Deutliche Anzeichen einer Überforderung, die Hilfe im Außen erfordert.
Tipps für mehr Selbstfürsorge im Pflegealltag
Pflegende Angehörige stellen sich, ihr Leben und ihre Bedürfnisse meist ganz hinten an. Sie opfern sich regelrecht auf für Familie, Partner, Beruf, Haushalt, Pflege usw., um so aufkeimende Schuldgefühle zu ersticken. Das ausgeprägte Pflichtgefühl verhindert zudem, sich Auszeiten zu erlauben und diese auch einzuhalten.
Selbstfürsorge ist der Schlüssel, um im Pflegealltag gesund und vital zu bleiben. Deshalb hier ein paar Anregungen, mit denen Sie sich selbst etwas Gutes tun können.
1. Ausreichend Schlaf
Guter Schlaf ist für die Regeneration besonders wichtig und damit für die Gesundheit. Bei Ein- und Durchschlafproblemen nutzen Sie schlaffördernde Rituale. Gehen Sie abends immer zur gleichen Zeit zu Bett. Nehmen Sie vorher ein warmes Fuss- oder Ganzkörperbad und nutzen Sie entspannende ätherische Düfte, wie z.B. Lavendel. Ein Buch oder ruhige Musik können den Einschlafprozess positiv unterstützen.
2. Ernährung
Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung. Vorkochen und portionsweises Einfrieren, kann helfen, wenn im Pflegealltag mal wieder die Zeit zum Kochen fehlt. Nehmen Sie das Essen bewusst und langsam ein. Das ist nicht nur gesünder, sondern bringt auch eine Portion Entspannung mit sich.
3. Regelmäßige Pausen
Diese müssen nicht lang sein, sollten aber beinhalten, dass Sie sich hinsetzen oder hinlegen und einfach mal ein paar Minuten nichts tun. Erlauben Sie sich zur Ruhe zu kommen. Planen Sie diese Auszeiten am besten schon in der Früh, damit diese am Tag auch eingehalten werden. Vielleicht wenn der Pflegebedürftige schläft, z.B. in der Mittagszeit. Legen Sie Zeit und Dauer fest und nutzen Sie diese nur für sich zum Verschnaufen. Fällt das „nichts tun“ schwer, dann machen Sie etwas, was ihnen Freude bereitet, wie z.B. Musik hören, malen …….
4. Entspannung
Nutzen Sie Entspannungsverfahren, wie Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung oder geführte Meditationen. Wenn Sie noch nicht so geübt sind, nutzen Sie eins der unzähligen Angebote auf Youtube. Und wenn Ihnen das nicht zusagt, dann schütteln Sie einfach ihren Körper aus. Lassen Sie dabei den Kopf locker hängen und nehmen Sie sich dann ein Körperteil nach dem anderen vor. Beginnen Sie mit sanften Schüttelbewegungen, die Sie dann steigern, so dass es für sie angenehm ist. Lassen Sie dabei vorhandenen Stress und damit verbundene Anspannungen los.
5. Bewegung
Mit einem Spaziergang in der Natur oder Sport fördern Sie Glücksgefühle und tun Körper und Seele etwas Gutes. Gleichzeitig kommen Sie auch auf andere Gedanken. Bewegung ist Dank des großen Online-Trainingsangebotes auch bequem von zu Hause aus möglich.
6. Hobbys
Nehmen Sie sich ab und an Zeit, um Ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen. Ob basteln, fotografieren, gärtnern, tanzen, musizieren, alles was Sie mit Leidenschaft verfolgen und Ihnen Freude bereitet, bringt Ausgleich und Wohlbefinden und lässt so die Anstrengungen des Pflegealltags in den Hintergrund rücken.
7. Soziale Kontakte
Ein Treffen mit Freunden bringt Sie auf andere Gedanken sowie Freude und Abwechslung in Ihr Leben. Auch wenn es nur eine Stunde ist, der Effekt ist spürbar.
8. Verwöhnen Sie sich
Belohnen Sie sich hin und wieder selbst. Wie wäre es mit einem Blumenstrauß, einem guten Buch, Schmuck, einer Massage, Pediküre, Maniküre (hier gibt es mittlerweile auch mobile Angebote)? Was immer Ihr Herz begehrt.
Machen Sie sich bewusst, dass jeder Mensch Zeit für sich, zum Erholen und Entspannen braucht. Keinem ist geholfen, wenn Sie selbst erkranken, deshalb achten Sie auf sich, so wie auf Ihren Angehörigen.
Liebe dich selbst – und dann deinen nächsten!
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es ist, wenn ein Familienmitglied erkrankt und gepflegt werden muss. Wenn sich das komplette Leben um den Pflegebedürftigen dreht und man sich plötzlich in einer ganz neuen Rolle wieder findet. Höhen und Tiefen des Pflegealltags durchlebt und häufig von Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten begleitet wird. Die eigenen Bedürfnisse geraten immer mehr in den Hintergrund und ehe man sich versieht, bleibt man selbst auf der Strecke.
In dieser herausfordernden Zeit habe ich viel mit mir selbst ausgemacht, meine Emotionen heruntergeschluckt oder sie einfach ignoriert. Ich habe geglaubt, für alle stark sein zu müssen. Nach Außen war ich das auch. Innerlich habe ich aber ganz schön zu kämpfen gehabt. Meine Familie wollte ich damit nicht noch zusätzlich belasten. Freunde haben sich stark zurückgezogen. Zum einen, weil ich nicht mehr die nötige Zeit für sie hatte, aber auch, weil sie nicht wussten, wie sie mit mir umgehen sollten. Wer kann auch schon nachvollziehen, wie es ist, mit Anfang 20 einen Elternteil zu pflegen und schlussendlich auch zu verlieren. Vieles habe ich erst im Nachhinein erkannt und verstanden. In vielen Momenten habe ich mich jedenfalls allein und hilflos gefühlt.
Einem geliebten Menschen dabei zuzuschauen, wie er körperlich abbaut, sich nicht mehr mitteilen kann und von einer „starken“, zu einer „hilflosen“ Person wird. Das schmerzt und niemand sollte damit allein sein. Ich kann heute nur jedem raten, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Schon ein Gespräch in dem Ängste, Sorgen, Konflikte oder sonstige Probleme des Pflegealltags Raum bekommen, kann Entlastung schaffen. Mal selbst wieder im Mittelpunkt zu stehen und Zeit für sich und die eigenen Bedürfnisse zu haben, ist in dieser Lebensphase „Gold wert“.
Viele verbinden Hilfe in Anspruch zu nehmen, mit dem Gefühl des eigenen Versagens. Aber wer sagt, dass man das allein durchstehen muss? Niemand!! Also trauen Sie sich und nutzen Sie die Angehörigenberatung, um leichter mit den Herausforderungen des Pflegealltags umgehen zu können und in Ihrer Kraft zu bleiben!
Zum Angebot: Hilfe für pflegende Angehörige